Viele Gitarristen wollen nicht nur Gitarre spielen, sondern auch noch dazu singen. Denn mit Gesang macht das Musizieren einfach noch mehr Spaß! Und seien wir ehrlich – wer z.B. Sweet Home Alabama spielt, kann wahrscheinlich die Lippen gar nicht zusammenhalten! Bei so einer Rockhymne platzt der Gesang spätestens im Chorus einfach aus einem raus. Doch Gitarre spielen und gleichzeitig dazu singen ist eine echte Herausforderung. Vielleicht verspielst du dich häufig sobald du anfängst zu singen. Oder du spielst plötzlich Betonungen der Gesangsmelodie mit, anstatt unabhängig die Rhythmik der Akkordbegleitung auf deiner Gitarre zu spielen. Solche Probleme sind ganz normal. Ich will dir in diesem Blogbeitrag helfen, einfach und schnell diese Fähigkeit zu meistern.
(Hinweis: Wer gleich die Praxis lernen will, dem empfehle ich den Kurs zum Thema: „Singen und Begleiten“)
Musiktheoretischer Hintergrund
Zunächst will ich dir kurz in der Theorie erklären, welche musikalische Leistung hinter dem gleichzeitigen Singen & Begleiten eigentlich steckt. Dazu hole ich ein wenig aus. Wenn du lieber gleich konkrete Tipps erfahren möchtest, dann überspringe dieses Kapitel einfach.
Die erste und wichtigste Zutat der meisten Lieder ist die Gesangsmelodie. Die Melodie besteht aus einer ganz bestimmten Tonfolge und rhythmischen Struktur. Zusammen bilden sie eine Einheit und machen den Wiedererkennungswert des Songs aus. Jede Gesangsmelodie benötigt einen rhythmischen und harmonischen Bezug, gewissermaßen ein Fundament. Mindestens ein Instrument, wie Klavier oder eben Gitarre liefert eine rhythmische Basis. Ein konstanter „Puls“ in Form einer Akkordbegleitung, an dem sich die Melodie orientiert. Das Interessante dabei: Die rhythmische Begleitung der Gitarre läuft einerseits völlig unabhängig von der Rhythmik im Gesangs, andererseits muss der Gesang aber hörbar „im Takt“ der Begleitung bleiben, also in einem festen „mathematischen“ Verhältnis zum Taktschlag stehen. Das gleiche gilt auch für die harmonische Zusammensetzung: Die Akkorde der Gitarrenbegleitung sollen die Gesangsmelodie harmonisch stützen und zu dieser harmonisch auch passen.
Wer also gleichzeitig Gitarre spielen und dabei singen will, der muss eine konstante rhythmische Begleitung spielen, die richtigen Akkorde greifen und gleichzeitig mit einem eigenen Timing singen. Dabei sollte man auch noch die Töne treffen und sich den Text merken. Beeindruckend! Das ist wahres Multitasking in der Musik. Es ist eine Offenbarung, wenn es gelingt eine stimmige Einheit zwischen Gitarre und Gesang zu schaffen. Das macht auch den Reiz von Singer/Songwritern wie Bob Dylan oder Simon & Garfunkel aus – man merkt, dass die Musik organisch klingt, dass sie im Gefühl eines Künstlers miteinander verwachsen ist. Eine Besonderheit, die moderne arbeitsteilig produzierte Pop- und Dancesongs mit synthetischen Instrumenten oftmals vermissen lassen.
Praktische Umsetzung
Um in der Praxis das gleichzeitige Singen und Gitarre spielen zu lernen, gebe ich dir jetzt 5 wichtige Tipps als Hilfestellung.
Tipp 1: Lerne den Gesang!
Multitasking fällt immer dann am leichtesten, wenn jede Einzelaufgabe ein möglichst geringes Maß an Konzentration erfordert. So ist es auch beim Singen: Wenn du die Melodie und den Text so stark verinnerlicht hast, dass du es im Schlaf singen kannst, dann fällt dir später auch das gleichzeitige Gitarre spielen leichter. Um an diesen Punkt zu kommen solltest du in zwei Schritten vorgehen: Erstens, du spielst eine Aufnahme des Songs ab und singst dazu wie beim Karaoke. Versuche das Timing und die Töne der Gesangsmelodie so genau wie möglich zu imitieren und verinnerliche den Text, bis du ihn auswendig kannst. Im nächsten Schritt wiederholst du das Ganze – aber ohne Musikaufnahme! Das ist eine Trockenübung, die dir sehr schnell zeigt, wo du noch Unsicherheiten im Text oder bei der Melodie hast.
Tipp 2: Lerne die Akkorde
Ohne Akkorde keine Begleitung – daher solltest du erstmal rausfinden, aus welchen Akkordfolgen sich die Begleitung des Songs zusammensetzt. Im Idealfall besteht eine Songbegleitung aus Standardakkorden die einfach zu greifen sind. A-Moll, E-Moll, D-Dur, C-Dur usw. Falls du die Standardakkorde noch nicht beherrschst, eigne dir die Griffmuster erst an und gewöhne dich an die richtige Fingerhaltung. Bis dir diese Akkorde keine Schwierigkeiten mehr bereiten können Tage oder Wochen vergehen. Aber es lohnt sich! Mit den Standardakkorden lassen sich praktisch alle Songs der Musikgeschichte begleiten.
Oftmals bestehen bekannte Songs zwar aus speziellen Akkorden und besonderen Licks, Riffs und Pickings, die der Musik einen individuellen Sound geben. Aber wenn du selber Gitarre spielen und dazu singen willst, dann reduziere die Begleitung auf die einfachen Standardakkorde um dir das Leben leichter zu machen. Barré-Akkorde sind gerade am Anfang anstrengend und stehen einem unverkrampften Gitarrenspiel im Weg. Falls du zur E-Gitarre greifst rate ich dir Powerchords zu lernen. Das ist eine einfach Akkordform, die überall auf dem Griffbrett gleich zu greifen ist und die mit dem richtigen Grundton harmonisch immer passt. Denn Powerchords enthalten keine Terz, Sept oder andere Harmonien. So kann man fast jeden Song schnell und ohne Aufwand begleiten. Das funktioniert auch auf der Akustikgitarre, passt klanglich aber eher zu einer rockigen E-Gitarre.
Damit du nicht lange suchen musst, findest du bei der OpenMusicSchool eine PDF mit schönen Darstellungen aller gängiger Akkorde. Außerdem kannst du dir als Mitglied natürlich meine Videokurse in der Kategorie Akkorde ansehen, um jeden Akkord mit tollen Spiel-Variationen zu lernen.
Tipp 3: Rhythmus und Timing auf der Gitarre lernen
Weil bei der Gitarrenbegleitung die Rhythmik entscheidend ist, macht es Sinn dich mit konkreten Rhythmusübungen an den Song heranzutasten. Das Rückgrat der Rhythmik ist immer der Taktschlag, der Beat. Daher empfehle ich dir ein Metronom anzuschaffen. Um zu lernen zwei Dinge gleichzeitig zu tun, brauchst du aber zunächst keine Gitarre. Lege sie zur Seite. Stelle dein Metronom auf die Geschwindigkeit des Songs ein und probiere zum Takt zu singen. Wenn du das draufhast, versuche doch mal parallel selber mit der rechten Hand auf deinen Schenkel oder auf den Tisch zu klopfen und den Takt mit zu schlagen und dann dazu zu singen. Die Abschläge auf der Gitarre sind technisch gesehen nicht anders. Wenn du das meisterst, dann bist du schon einen großen Schritt weiter.
Nach einer Weile kannst du versuchen z.B. immer die 2 und die 4 im Takt lauter zu klopfen. Das ist der klassische „Backbeat“ und häufig werden diese Zählzeiten auch bei der Rhythmusgitarre stärker betont. Wenn du gleich ein bisschen Schlagzeug lernen willst, dann probiere doch immer die 2 und die 4 mit der linken Hand zu klopfen – aber weiterhin alle vier Schläge mit der rechten Hand. Auf die 2 und die 4 klopfst du also mit beiden Händen gleichzeitig. Wenn es dir gelingt während dem Klopfen auch gleichzeitig die Melodie zu singen – dann steht der Gitarrenbegleitung nichts mehr im Weg! Denn Gitarre spielen ist immer auch ein wenig Schlagzeug spielen. Also schnapp’ dir jetzt die Gitarre und mache genau das Gleiche mit Abschlägen auf den richtigen Akkorden – erst die vier Viertel im Takt, dann die 2 und 4 etwas betonen usw.
Schritt für Schritt kannst du dann weitere rhythmische Akzente hinzufügen, z.B. ein Wechselanschlag (Downstroke-Upstroke) auf die 2 UND E sowie auf die 4 UND E – zusammen mit den Vier-Viertel Abschlägen ist das ein sehr verbreiteter Rhythmus an der Gitarre. (Anmerkung: zählt man alle Sechzehntel in einem Takt, dann spricht man: 1 E UND E 2 E UND E 3 E UND E 4 E UND E)
Wenn du einen bestimmten Song vor dir hast, dann empfehle ich dir immer als erstes die die Schlagrhythmik auf das Wesentliche zu reduzieren – z.B. Abschläge immer auf die Viertel- oder Achtelnoten. Weniger ist mehr! In vielen Songs reicht das schon, damit es gut klingt. Hör’ dir „Hey Jude“ von den Beatles an. Ein überragender Welthit, der nur auf Vierteln basiert, mit leisen Abschlägen auf Achtelnoten. Hier der Link zum OpenMusicSchool Kurs „Hey Jude“:
Wenn du das Gefühl hast flüssig die Rhythmik der Gitarre spielen zu können, dann überlege dir genau an welchen Stellen der Gesang einsetzt, wo welches Wort im Takt kommt usw. Liegen bestimmte Silben genau auf den Viertelschlägen? Wird ein Wort genau auf den ersten Taktschlag gesungen? Solche Fragen helfen dir dich rhythmisch zu orientieren und dich an markanten Stellen entlang zu „hangeln“. Ich habe einen tollen Tipp für dich: Schreibe dir den Songtext doch auf und notiere die richtigen Akkorde immer über den Wörtern oder Silben, bei denen sie einsetzen. Das sieht dann etwa so aus:
Tipp 4: Benütze einen Kapodaster
Nicht jeder singt gerne in der gleichen Tonart – wer sich mit hohen Tönen schwer tut, der muss sich beim Gitarre spielen auch zu sehr anstrengen. Also empfehle ich, die Tonart auf deine Singstimme anzupassen. Doch wie geht das? Entweder du spielst Akkorde mit Barré-Griffen und kannst die Tonart so beliebig auf dem Griffbrett verschieben. Das ist allerdings nicht so schön, weil Barré-Griffe für Einsteiger recht anstrengend sind und sie klingen auch nicht so schön, weil sie keine offenen Saiten enthalten. Die elegantere Möglichkeit ist der Einsatz eines Kapodasters! Das ist eine Klammer, die man auf verschiedenen Bünden des Griffbrettes befestigt, um die Stimmung der Gitarre nach oben zu verschieben. So kannst du oberhalb des Kapodasters weiterhin alle Standardakkorde einfach spielen, hast aber die Tonart verändert. Je nachdem in welcher Oktave du singst, kannst du in dieser Tonart dann entweder noch höher singen, oder tiefer. Ganz, wie es dir gefällt.
Tipp 5: Denk‘ nicht zu viel nach!
Das ist eine Regel, die beim Gitarre lernen eigentlich generell gilt. Aber wenn du Gitarre spielen und dich dabei begleiten willst, dann musst du es erst recht schaffen, aus dem Bauch heraus zu spielen. Denke nicht an Griffmuster, Taktarten oder ähnliches. Drücke dich mit deiner Gitarre und mit dem Gesang aus! Wusstest du, dass man beim Singen eine andere Gehirnhälfte nutzt, als beim normalen Sprechen? Wenn jemand im Alltag stottert, kann es sein, dass dieses Problem während des Singens einfach weg ist. Lass‘ dich von deinem Gefühl leiten, der Rhythmus und die Melodie liegen dir wahrscheinlich im Blut – du musst es nur zu lassen. Wer aktiv musiziert, der soll vor allem Spaß haben. Geübt wird wann anders.
In diesem Sinne – Rock ’n‘ Roll!
Dein Benjamin Cross